Niemand hat die Absicht einen Grenzzaun zu errichten

Oft ist von der „Festung Europa“ die Rede – sie lässt Waren gerne passieren, verhält sich Nicht-Europäern gegenüber aber äußerst reserviert. Das Asylrecht wurde 1992/93 faktisch ausgehöhlt und durch die EU-“Gemeinschaftsagentur“ FRONTEX werden die Außengrenzen hermetisch abgeriegelt und überwacht. Dass all dies nicht nur jeglichem Verständnis von Menschenrechten widerspricht, sondern auch absehbaren weltpolitischen Herausforderungen wie dem Klimawandel zuwiderläuft, liegt auf der Hand. Und dennoch ist dies kein Einzelfall, weltweit haben Mauern und Grenzzäune Konjunktur.

So plante Griechenland Anfang 2011 einen Grenzzaun zur Türkei, um die Migration in diesem Bereich einzudämmen. Trotz FRONTEX-Einsätzen, eines funktionsunfähigen Asylsystems, menschenverachtenden Lebensbedingungen für Flüchtlinge – trotz alledem  reisst der Zustrom nach Griechenland nicht ab, es wurden allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2010 rund 130.000 Flüchtlinge ohne Papiere aufgegriffen. Doch anstatt die Ursachen des Flüchtlingszustroms zu erforschen und zu beseitigen (ein Großteil der Flüchtlinge, die über Griechenland einreisen, stammen aus dem Irak und Afghanistan), gedenkt man sich mit einem Grenzzaun zu behelfen. Ein ernsthaftes Verständnis von Asylrecht und Menschenrechten sieht anders aus.
Nach internationaler (und innereuropäischer) Kritik tat die griechische Regierung dann allerdings das, was sie von vielen Flüchtlingen im Mittelmeer auch gerne sehen würde: sie ruderte zurück.
Anstelle des ursprünglich geplanten, 206 Kilometer langen Zauns wurde ein nur rund 12 Kilometer langer Zaun entlang einiger „Schwachstellen“ des Flusses Evros installiert. Dass diese europäische Außengrenze ohnehin noch mit einem Minengürtel aus alten griechisch-türkischen Grenzstreitigkeiten „gesichert“ ist¹ findet allerdings wenig öffentliche Beachtung, von Empörung gar zu schweigen.
Dass es unter Umständen gar nicht mal die Einsicht war, dass Menschen ein Recht auf Asyl besitzen, ja dass auch Griechenland die Universal Declaration of Human Rights anerkannt hat, in der Artikel 13 das Recht auf völlige Freizügigkeit garantiert; dass es vielmehr die Schulden- und Eurokrise gewesen sein könnte, welche die Pläne des  griechischen Zaunbaus zu Fall brachte, sollte daher umso nachdenklicher stimmen.

Nicht allzu weit von dieser Grenze entfernt geht man weniger dilettantisch ans Werk. Die Rede ist vom Grenzzaun Israels rund um den Gazastreifen. Im Jahre 1994 wurde mit dem Bau des 52 Kilometer langen Zauns durch Israel begonnen, Rechtfertigungen für den Bau gibt es derer viele. Der Zaun schütze vor Terroristen, er hielte Selbstmordattentäter ab und befriede die Region. Einmal mehr wird Freiheit zugunsten der vermeintlichen Sicherheit geopfert.
Der Zaun umfasst allerdings noch zusätzlich eine zwei- bis dreihundert Meter breite Sicherheitszone, die um den Zaun herum gilt. Das Betreten dieser Sicherheitszone ist verboten, zwischen 11. September 2005 und Ende 2010 wurden alleine dort 177 Palästinenser getötet.
Das Gebiet, das durch diese „Sicherheitsmaßnahme“ dem Gazastreifen abgeschnitten und für die Palästinenser unwirtschaftlich gemacht wird, umfasst 62,2 Quadratkilometer – immerhin 17 Prozent der Gesamtfläche Gazas. Inwiefern man durch derartige Maßnamen Sicherheit und vor allem dauerhaften Frieden schafft, ist fraglich.

Ähnlich verhält es sich mit der Sperranlage, die von Israel um das Westjordanland errichtet wurde (und an der noch immer gebaut wird). 2003 wurde mit dem Bau begonnen, mittlerweile ist der Wall auf eine Länge von 759 Kilometer gewachsen. Auch hier wird der Bau wieder mit sicherheitspolitischen Interessen und der Verhinderung von Selbstmordattentaten begründet. Zwar ging die Zahl der Selbstmordanschläge seit dem Bau wirklich zurück – einen wesentlichen Beitrag zur Befriedung leistet der Schutzwall aber nicht.
Im Gegenteil: sein Verlauf entspricht nicht den Grenzen des Staates Israel, wie sie im Waffenstillstandsabkommen 1949 festgelegt wurden. Die Mauer schneidet rund 400.000 Palästinenser von Palästina ab und legt eine zukünftige Grenze Palästinas fest, die einzig israelischen Interessen gerecht wird. Der bisher rund 190 Millionen Euro teure Bau verstößt zudem gegen internationales Recht.
So wurde der Bau von der UN-Vollversammlung in einer Resolution verurteilt (jedoch ohne völkerrechtliche Auswirkung)², auch der IGH kommt in einem Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass die Sperranlage sowie die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten illegal sind und gegen die Genfer Konvention³ verstoßen. Allerdings gab Israel schon vor Entscheidung des IGH bekannt, dass es die Autorität des IGH nicht akzeptieren werde.

Eine Resolution im UN-Sicherheitsrat wurde unter anderem durch ein US-amerikanisches Veto verhindert, von Zaunbauern zu Zaunbauern sozusagen. Denn auch die USA bauen fleißig an einer „Sicherheitsmaßnahme“: Durch den Secure Fence Act von 2006 wurden bisher 1125 Kilometer der 3144 Kilometer langen Grenze der USA zu Mexiko durch Grenzzäune gesichert. Überwacht wird das Grenzgebiet von der Nationalgarde und teilweise auch von „Bürgerinitiativen“.
Die mexikanisch-amerikanische Grenze zählt zu einer der meistüberquerten, so wurden im Jahr 2006 etwa 250 Millionen legale Grenzübertritte gezählt. Hinzu kommen die zahllosen „illegalen“ Überquerungen und die gescheiterten Versuche. So unbegrenzt ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten dann doch nicht und es bleibt zu befürchten, dass das Thema „illegale“ Migration im aufkommenden US-Wahlkampf 2012 eine große Rolle spielen wird.

Übertroffen wird der amerikanische Zaunbau nur noch von Indien. Im Grenzgebiet zu Pakistan sichert ein rund 500 Kilometer langer und drei Meter hoher Zaun die Region Kaschmir. Der Zaun ist teilweise elektronisch gesichert – er steht unter Strom; er ist mit Alarmsystemen versehen und stellenweise vermint.
Auch hier gilt also das Credo: Safety first! Terroristen sollen außen vor bleiben, die Region durch den Zaun befriedet werden. Daher wurde auch die indische Grenze zu Bangladesch mit einem Zaun versehen. Auf etwa 4000 Kilometern (!) trennt der vier Meter hohe Stacheldrahtzaun Bangladesch von Indien. Einmal mehr wird die Terrorgefahr zur Begründung des Zaunbaus angeführt, Terroristen sollen so abgehalten werden, nach Indien zu gelangen. Zudem soll die „illegale“ Einwanderung nach Indien beschränkt werden, immerhin leben rund 20 Millionen Bangladeschi „illegal“ in Indien.

Der rund 900 Millionen Euro teure Bau ist damit nur 1000 Kilometer kürzer als die chinesische Mauer. Es ist aber davon auszugehen, dass die indische Fassung nicht einmal annähernd so lange Bestand haben wird wie sein chinesisches Pendant. Steigt durch die Klimaerwärmung in den nächsten Jahren der Meeresspiegel auch nur um wenige Zentimeter an, so wird durch den daraus entstehenden Landverlust in Bangladesch ein enormer Migrationsdruck auf die dortige Bevölkerung ausgelöst.
Selbst wenn man die günstigsten Klimaprognosen zugrunde legt, so werden durch den Meeresspiegelanstieg Millionen von Bangladeschi ihre Heimat verlieren und sich auf Wanderschaft begeben. Zu glauben, dass ein Grenzzaun fliehende, hungernde, bedürftige Menschen aufhalten kann, ist zwar naiv, aber leider eine historische Regelmäßigkeit.

Mit einem ähnlichen Problem sehen sich auch zahlreiche andere Länder konfrontiert. Ein eindrucksvoller und alarmierender Bericht von Germanwatch kann hier gefunden werden: http://www.germanwatch.org/download/klak/fb-ms-d.pdf

Rund 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, durch den vor den Augen der Weltöffentlichkeit gezeigt wurde, dass Mauern keine Menschen einzusperren oder Freiheit auszusperren vermögen, scheint man aus der Geschichte nichts gelernt zu haben. Vielleicht sind es die Worte Nietzsches, die heute im Zeichen von Terrorgefahr und Klimawandel aktueller denn je sind:

„Ihr führt Krieg? Ihr fürchtet euren Nachbar? So nehmt doch die Grenzsteine weg: so habt ihr keinen Nachbarn mehr. Aber ihr wollt den Krieg: und darum erst setzet ihr die Grenzsteine.“ (Friedrich Nietzsche: Kritische Studienausgabe, S. 203)

Marc Rothballer

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¹ siehe http://www.borderline-europe.de/news/news.php?news_id=105
² siehe http://articles.cnn.com/2003-10-21/world/un.israel.barrier_1_armistice-line-security-barrier-united-nations-dan-gillerman?_s=PM:WORLD
³ siehe http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Nahost/mauer-igh-orig.pdf