Wollen wir Grenzkontrollen zurück?

Am Freitag war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass der deutsche
Innenminister das Schengen- Abkommen in Frage stellt. Damit ist er sich einig mit
dem französischen Innenminister und mit dessen Vorgesetzten Sarkozy. Grund
dafür sind die „Flüchtlingsströme“, die nach Griechenland und Italien und in andere
südliche Länder „einfallen“, und diese südlichen Länder sich stetig
überfordert zeigen die Flüchtlinge „abzuwehren“. Das scheint allgemein bekannt zu
sein. Nun kommen Friedrich und sein Amtskollege Claude Guéant zu der Idee, das
Schengen- Abkommen auszusetzen, für bis zu 30 Tage! Das Schengen- Abkommen
also, dass jedem Europäer ein Gefühl der europäischen Idee vermittelt, dass wir
vielleicht tatsächlich in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
leben, in dem wir einfach nach Frankreich fahren können oder nach Polen und
Tschechien, fast so, als ob‘s unser eigenes Heimatland wäre!

Aber macht das Schengen- Abkommen für uns noch einen Sinn, wenn wir uns
vorher fragen müssen, ob wir in ein anderes Land fahren können ohne kontrolliert zu
werden, abhängig vom politischen Klima in unserem bevorzugten Zielland? Die
Regelung wird dazu führen, dass man die Länder der Europäischen Union wieder
stärker als selbständige Staaten wahrnehmen wird, die sich wie zufällig einem
Wirtschaftsverbund namens EU angeschlossen haben. Aber das können wir nicht
wollen, zumindest dann nicht, wenn dieses Europa eben mehr sein soll als eine
Wirtschaftsvereinigung. Das Schengen -Abkommen hat dazu geführt, dass Europäer
temporär oder auf Dauer ihren Wohnort wechseln, als Studenten oder Arbeitnehmer. Das Abkommen hat damit zur Völkerverständigung beigetragen wie keine andere Regelung
der EU. Das tut der Union gut, gerade jetzt, nachdem die Wirtschaftskrise dem
Solidaritätsgedanken massiv zusetzt. Gerade deshalb muss dieser unumstrittene Vorteil betont und keine billige Effekthascherei betrieben werden, noch
dazu um einen französischen Präsidenten in einem fragwürdigen Wahlkampf, der
sich scharf gegen Asylsuchende und Migranten wendet, noch Schützenhilfe zu
gewähren. Zum Glück sind die Europäischen Verträge auch nicht so ohne weiteres
aufzulösen, das wissen beide Innenminister. Die Diskussion auf diese Stufe zu
heben ist aber schon kein gutes Omen für die EU, nachdem man letztes Jahr
Dänemark noch massiv dafür gerügt hat Grenzkontrollen wieder einzuführen, auch
seitens der Bundesregierung. Gedanken mit nationalistischen Tendenzen wie
diesen sind in vielen Ländern der Europäischen Union latent oder offensichtlich vorhanden und wenn der politische Wille erst mal generiert ist, lassen sich auch
wasserdichte Verträge auflösen. Das alles wird noch dazu auf dem Rücken von
Flüchtlingen und Asylbewerbern ausgetragen, die ständig mit der Schattenseite des
Schengenraumes zu Recht kommen müssen – der Abschottungspolitik an den
Außengrenzen. Man müsste sich nur mal vor Augen führen, dass Anfang der 90er
mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland Asyl beantragt
haben, um deutlich zu sehen, dass die Angst, die vor Flüchtlingen geschürt wird,
trotz des neuerlichen Anstiegs auf 46.000 Asylbewerber maßlos überzogen ist. Die
Lösung kann hier nicht sein strengere Kontrollen einzuführen. Wie soll das auch
aussehen? Dann müsste die die Bundesregierung feststellen, dass wie gehabt in Libyen,
Tunesien, Ägypten eine Revolution ausbricht, aus der eine massive Vertreibung und
Menschenrechtsverletzungen folgen und würde dann die Grenzen schliessen,
aufgrund eines erwarteten Flüchtlingsstromes. Es gibt keinen
denkbaren Fall, in dem eine solche Einführung von Grenzkontrollen keine
bewusste Missachtung der universellen Menschenrechte oder eine Verletzung des bloßen Anstandes darstellt: Bei Krieg, Naturkatastrophen, Revolutionen, Folter? Es ist auch nicht harmlos Grenzen zu schließen, weil Griechenland und Italien keinerlei Standards im
Flüchtlingsschutz einhalten und die Flüchtlinge von dort zu Recht nach Mittel- oder
Nordeuropa wollen. Was nicht heißt, dass hier besonders hohe Standards
eingehalten würden. Aber selbst dann widerspricht es den Menschenrechten, weil
die Flüchtlinge dort in ihrer miserablen Situation belassen werden. Und es
widerspricht dem europäischen Gedanken, wie ich ihn verstehe, dass die
Mitgliedsländer auf Solidarität hoffen können und nicht mit ihren Problemen alleine
gelassen werden. Um Europa zu schützen bedarf es einer europaweiten
menschenrechtskonformen Flüchtlingspolitik, die keine Ressentiments schürt
sondern Flüchtlinge integriert. Andernfalls geraten wir in Gefahr die größten
Errungenschaften der Europäischen Union, aufgrund einer überzogenen Furcht, zu verlieren.

Simon Oschwald

Veranstaltung in der DESI Nürnberg: Asylmonologe (Theater trifft auf wahres Leben)

Warum Flüchtlinge „bekämpft“ werden!

„Flüchtlingsbekämpfung im Mittelmeer“
(Angela Merkel beim Bertelsmannforum 2009)

 

„Flüchtlingsbekämpfung“, „Flüchtlingsproblem“, „Flüchtlingsstrom“ und „Flüchtlingswelle“ sind vier von vielen anderen Vokabeln, die im Zusammenhang mit den irregulären Migrationsbewegungen aus den Ländern des Südens in die Europäische Union und nach Deutschland von Politikern gebraucht werden. Die einmal ausgenommen scheinen alle schon zum normalen Sprachgebrauch innerhalb der Diskurse zum Umgang mit Flüchtlingen zu gehören. „Flüchtlingsbekämpfung“ schien ein Begriff  zu sein, den Mitglieder von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, auf die in ihren Augen menschenrechtsverletzenden Maßnahmen an Europas Grenzen, anwandten. Bundeskanzlerin Merkel hat den Begriff allerdings schon 2009 auf einem von der Bertelsmannstiftung ausgerichteten Bürgerforum ganz selbstverständlich benutzt, wie ZEIT ONLINE schreibt, und ihm damit zum zweiten Platz bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2009 verholfen.

Allerdings? Passen die zwei Begriffe zusammen? Ein Flüchtling ist laut Duden eine „Person, die aus politischen, religiösen, wirtschaftlichen oder ethnischen Gründen ihre Heimat eilig verlassen hat oder verlassen musste und dabei ihren Besitz zurückgelassen hat.“. Flüchtlingsbekämpfung zählt zumindest die Online-Ausgabe des Duden nicht auf, allerdings Begriffe wie „Terrorismusbekämpfung“, „Kriminalitätsbekämpfung“, „Unkraut- bekämpfung“. Dass von Terrorismus und Kriminalität Gefahr für die Bevölkerung und den Rechtsstaat ausgeht ist eine nachvollziehbare These, vom Unkraut geht immerhin noch Gefahr für den Garten aus. Alle drei Phänomene werden dann mit den zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft, um ihr Auftreten zu verhindern.

Nun stellt sich die Frage, ob ein Flüchtling jemand ist, von dem eine relevante Gefahr für die Sicherheit und das Bestehen des Rechtsstaates ausgeht, so dass er mit legitimen Mitteln bekämpft werden muss. Zwar kommt niemand auf die Idee, Flüchtlinge öffentlich als Unkraut zu bezeichnen. Flüchtlinge mit Kriminellen und Terroristen in Zusammenhang zu bringen ist alles andere als unüblich. „Mit der Flüchtlingsflut steigt die Terror-Gefahr.“, betitelte die Bild einen Artikel nach einer entsprechenden Warnung durch Europol, nach den ansteigendenden Migrationszahlen im Zuge der nordafrikanischen Revolution. Es scheint also einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und einem verringerten Sicherheitsempfinden zu geben. Worin liegt dieser Zusammenhang, wenn doch der Flüchtling eigentlich ein Mensch ist, der, zumindest nach der Genfer Flüchtlingskonvention, aus „einer begründeten Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung“ sein Heimatland verließ, um in einem anderen Land Schutz zu suchen“?

Dass Bundeskanzlerin Merkel den Begriff unbedacht und nebenbei verwendet ohne dessen Wirkung vorher eingeschätzt zu haben, ist bei einer routinierten Politikerin kaum zu glauben. Die Bundeskanzlerin bewegt sich auch auf der weltpolitischen Bühne, auf der einzelnen Wörtern ein noch höheres Maß an Bedeutung zu kommt. Äußerungen haben Gewicht, sogar noch mehr, wenn sie von Personen mit einer hohen sozialen Stellung getätigt werden. Äußerungen beeinflussen auch die Realität über das Maß der Beschreibung eines Sachverhaltes hinaus. Das weiss jeder, der ein unbedachtes Wort im falschen Moment fallen liess und damit eine anderen Menschen verletzt hat

Äußerungen können aber auch gezielt und bewusst eingesetzt werden, was natürlich gerade PolitikerInnen wohl bekannt ist und was sie für ihre Ziele gewinnbringend einzusetzen suchen. Der Irak-Krieg während der Legislaturperiode von Bush jun. wurde mit einer massiv erhöhten Gefahrenlage gerechtfertigt. In Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 konnte dies der eigenen Bevölkerung glaubwürdig vermittelt werden, unabhängig davon, ob diese Gefahrenlage tatsächlich jemals in diesem Ausmaß bestanden hat oder ob der Krieg zur Verringerung der terroristischen Gefahren überhaupt beiträgt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht wird ein solcher Vorgang als Securization (=Versicherheitlichung) bezeichnet. In etwa bedeutet das, dass ein politischer Akteur eine lebensbedrohliche Gefahr (Terror) für ein bestimmtes Objekt feststellt um daraufhin Konsequenzen (Krieg) zu fordern, die unter normalen Umständen keine Zustimmung oder Mehrheit fänden.[1]

In diesem Konzept lässt sich womöglich die Ursache finden, warum die zwei konträren Begriffe „Flüchtlinge“ und „Bekämpfung“ in einem Wort zueinander gefunden haben. Es könnte Merkels Versuch gewesen sein, dass Thema zu „versicherheitlichen“, indem sie Deutschland eine Bedrohung durch Flüchtlinge zuweist, woraus resultiert, dass Europas Grenzen vor irregulärer Migration mit (möglicherweise) militärischen Mitteln geschützt werden müssen. Der Maßnahmenkatalog, den sie zwar  eher anspricht als fordert, umfasst auch Entwicklungshilfe, obwohl der Begriff „Bekämpfung“ eher daran erinnert, dass militärische Mittel angemahnt sein könnten. Diese haben jedenfalls im Umgang mit Flüchtlingen bislang nicht zum offiziellen Standardrepertoire innerhalb der Migrationspolitik gezählt.

Merkels Äußerungen fehlt sicherlich der dramatische Moment, den man üblicherweise bei einer existentiellen Sicherheitsbedrohung erwartet. Allerdings ist aus normativer Sicht ein gemeinsame Verwendung der beiden Begriffe „Flüchtling“ und „Bekämpfung“ völlig ausgeschlossen. Die Regierungschefin bringt sie trotzdem bewusst in einen Zusammenhang und das als erste relevante Politikerin mit einem hohen Ansehen in der Bevölkerung. Auch deshalb lohnt sich ein Seitenblick auf den nachfolgenden Diskurs zur Thematik um abschätzen zu können, welche Wirkung die Äußerung erzielt hat.

Zwar wurde Merkels Begriffsfindung kritisiert und für die Wahl zum Unwort des Jahres 2009 nominiert, ein großes mediales Echo hat ihre Äußerung dennoch nicht hervorgerufen. Im Diskurs selbst scheint aber ihre ambivalente Haltung zwischen Bekämpfung und Hilfe Widerhall zu finden. Während der politischen Krise im Zuge der nordafrikanischen Revolutionen und dem damit einhergehenden Anstieg der Flüchtlingszahlen auf Lampedusa 2011 haben sich verschiedene Politiker der Regierungsparteien ähnlich geäußert. Rhein, der damalige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, forderte laut Bild „schärfere Grenzkontrollen“ sowie die Kontrolle von aus Italien kommenden Flugzeugen, um festzustellen, ob diese Flüchtlinge eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen“. Auf der anderen Seite betonte er, dass Hilfe vor Ort zu leisten wäre.  Der bayerische Innenminister Hermann äußerte auf Italiens Ankündigung, Flüchtlinge mit Visa auszustatten, hingegen nur, dass die „Wiedereinführung von Grenzkontrollen“ das letzte Mittel sei.

Sehr häufig wird im Zusammenhang mit Flüchtlingen offensichtlich auf irgendeine Weise auf eine Bedrohung der Sicherheit angespielt, oft auch die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz der Inländer. Gängige Begriffe wie die eingangs erwähnten „Flüchtlingsstrom“, „Flüchtlingsflut“ etc. schaffen gleichzeitig das Bild einer rohen Naturgewalt, von der man sich nur mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln schützen kann. Die selbstverständliche Verwendung solcher Begriffe in den Medien und das Ausbleiben der Empörung über den von der Bundeskanzlerin verwendeten Begriffs der „Bekämpfung“ lassen darauf schliessen, dass ein relevanter und großer Teil der Bevölkerung tatsächlich Flüchtlinge als Bedrohung der Sicherheit wahrnimmt und womöglich einer „Bekämpfung“ zustimmt.

Der unüblich deutliche Begriff hebt das Maß der vermeintlichen Bedrohung noch einmal deutlich an und erleichtert damit zukünfig ein härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge an Europas Grenzen zu fordern. Die Rückschiebeaktionen im Mittelmeer von Frontex und das Satelittenüberwachungssystem „EuroSur“ reichen dabei allein schon aus um eine Assoziation einer Bekämpfung von Flüchtlingen mit militärischen Mitteln auszulösen.

Es bleibt fraglich, warum bei einer vornehmlich menschenrechtlichen Problematik, die auch Niederschlag im Art 16a des Grundgesetz findet, eine derart ausgestaltete Drohkulisse aufgebaut wird. Sie wäre kontraproduktiv wenn man nur im Sinn hätte Flüchtlingen zu ihrem Recht zu verhelfen und ihnen Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Andererseits wäre es natürlich auch naiv zu glauben, alle die in Deutschland Schutz suchen würden den auch uneingeschränkt erhalten. Allein wie die Debatte geführt wird erschreckt. Und wenn man vom wahrscheinlichen Fall ausgeht, dass die Bundeskanzlerin ihre Worte mit bedacht wählt und das sie diese beiden Worte auch wählte, weil sie entweder ein Ziel damit verfolgte, dass der Flüchtlingsbekämpfung (?) oder weil sie eine Situation beschreiben wollte, darf man zum Schluß ernsthaft fragen:

 „Werden Flüchtlinge also ´bekämpft´ oder sollen sie zukünftig ´bekämpft´ werden?“.

Simon Oschwald

 Literatur:

[1] Fischer, Susanne (2004): Diskursive Sicherheitsanalyse, Sicherheit als sprechakttheoretisches Konzept, Wien.

 

 

Korpus:                                                                                                                        

http://www.bild.de/politik/ausland/terrorismus/europol-warnt-mit-der-fluechtlingsflut-steigt-die-terror-gefahr-17500526.bild.html.

http://www.focus.de/politik/deutschland/tunesien-fluechtlinge-bayern-droht-mit-grenzkontrollen_aid_617095.html

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,756132,00.html

http://www.zeit.de/online/2009/08/populismus-merkel-fluechtlinge/seite-1

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht

So lautet Artikel 16a des deutschen Grundgesetzes, welches 1949 erlassen wurde. Seine Wurzeln liegen im traurigen Andenken des Nationalsozialismus. Millionen von Menschen mussten vor dem Terrorregime fliehen, weitere Millionen verloren ihr Leben. In den frühen Jahren der Bundesrepublik waren die Nachwehen des 2. Weltkrieges noch immer stark zu spüren. Über 12 Millionen Vertriebene suchten in Deutschland eine neue Heimat¹. Dagegen emigrierten hunderttausende Deutsche insbesondere nach Süd- und Nordamerika und Australien. Überwiegend waren diese Menschen Wirtschaftsflüchtlinge und suchten ihr Glück in Übersee, da sie in Deutschland keine Perspektive mehr sahen.

Laut UNHCR² befinden sich derzeit weltweit mehr als 43 Millionen Menschen auf der Flucht.³ Ein Promille aller Flüchtlinge ersucht Asyl in Deutschland, welches laut dem United Nation Development Program stets unter den Top 20 der reichsten Länder der Welt ist. Bekanntlich nehmen die ärmsten Länder die meisten Flüchtlinge auf, allen voran Pakistan. Der UNHCR berechnete die Anzahl der aufgenommenen Flüchtlinge eines Landes im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Nach dieser Rechnung kommen in Pakistan auf jeden Dollar des Bruttoinlandprodukts 710 Flüchtlinge, in Deutschland dagegen nur 17 Flüchtlinge pro Dollar.⁴

Im Jahr 2011 stellten 45.741 Menschen einen Asylantrag in Deutschland. Von diesen Antragstellern erhielten 652 Personen, also weniger als 1,5%, den Status eines Asylberechtigten nach Artikel 16a des Grundgesetzes.⁵ Weitere 7.098 (16,4%) Personen erhielten Asyl nach der Regelung der Genfer Konvention.
Zudem wurde 2.577 Personen (5,9 %) ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes, also „subsidiären Schutz“ ausgestellt. Die beiden letzteren genannten Status bieten aber langfristig nicht die selben Rechte wie die Anerkennung als Flüchtling nach Arikel 16a GG.

Deutschland schottet sich systematisch gegen Flüchtlinge ab. Zum einen durch die Abwehr von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen, zum anderen durch die nationalen Gesetze. Im Mai 1993 wurde der Artikel 16a des Grundgesetz geändert und eine Asylberechtigung nach dem Grundgesetz ist seitdem nicht mehr möglich, wenn der Antragsteller sich bereits vor seinem Grenzübertritt nach Deutschland in einem „sicheren Drittstaat“ aufgehalten hat. Auch eine Durchreise wird offensichtlich als Aufenthalt gewertet. Die Crux ist, dass Deutschland seit der Erweiterung der EU von „sicheren Drittstaaten“ umgeben ist, da zu diesen auch die Schweiz zählt. Wer also über den Landweg nach Deutschland kommt und vielleicht nicht einmal weiß, welche Länder er passiert hat, da er zum Beispiel in einem verplombten LKW eingereist ist, kann dennoch kein Asyl nach Artikel 16a GG erhalten.

Einziger weg nach Deutschland zu kommen und hier auf Asyl nach dem Grundgesetz zu hoffen, ist also der Luftweg. Um überhaupt in ein Flugzeug nach Deutschland zu gelangen, benötigt man ein Visum, welches für Menschen aus Krisengebieten nur schwer zu erhalten ist. Das heißt wiederum, dass viele Menschen gezwungen sind mit gefälschten Pässen und Visa einzureisen. Zum einen werden somit Flüchtlinge kriminalisiert, zum anderen wird diese Reise für viele Verfolgte aufgrund mangelnder finanzieller Mittel oder auch Zeit unmöglich. Wer es dennoch schafft nach Deutschland mit einem Flugzeug einzureisen, dessen Asylanliegen kann bereits im beschleunigten Flughafenverfahren abgefertigt werden.

All diese Gegebenheiten machen deutlich, dass das Grundrecht auf Asyl, wie es im Grundgesetz Artikel 16a verankert ist, zusehends ausgehölt wird.

Andrea Schuster

_________________

¹http://www.bpb.de/themen/CNSEUC,1,0,Zwangswanderungen_nach_dem_Zweiten_Weltkrieg.html

² Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen

³ http://www.proasyl.de/de/themen/basics/basiswissen/wie-viele-fluechtlinge-gibt-es/

⁴ http://www.tagesspiegel.de/mediacenter/fotostrecken/weltspiegel/fotostrecke-fluechtlinge-in-pakistan-iran-und-syrien/4312774.html?p4312774=8#image

http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2012/01/asylzahlen_2011.html?nn=109632

Enklave Kempten

Deutschland ist im gesamten europäischen Unionsgebiet der einzige Staat, welcher eine gesetzliche räumliche Beschränkung für Asylbewerber und Geduldete praktiziert.
Bis zum Jahr 2010 erlaubte §56 des Asylverfahrensgesetz den räumlichen Aufenthalt von Asylbewerbern in Bayern lediglich im Landkreis der zuständigen Ausländerbehörde. Dieses Gesetz wurde im April 2010 gelockert¹ und die räumliche Beschränkung auf den gesamten Regierungsbezirk und die Landkreise benachbarter Regierungsbezirke ausgeweitet. Geduldete Flüchtlinge in Bayern erhalten nach dieser Gesetzesnovelle die Erlaubnis, sich im gesamten Freistaat aufzuhalten.²

Auch knapp zwei Jahre nach Einführung des Gesetzes gibt es in Kempten, eine Stadt im Regierungsbezirk Schwaben, noch immer Flüchtlinge mit dem Status einer Duldung, deren räumliche Beschränkung auf den Landkreis Kempten beschränkt ist. Hierbei handelt es sich nicht um Einzelfälle sondern um den Großteil der Bewohner der GU.³
So kann zwar die Bewegungsfreiheit gesetzlich noch immer auf den Landkreis reduziert werden, wenn hierzu triftige Gründe vorliegen, doch ist stark zu bezweifeln, dass in Kempten bei jedem Geduldeten berechtigte Gründe es zwingend notwendig machen, dass sich diese Menschen täglich im Landkreis aufzuhalten haben.
Es ist hier letztendlich nicht zu klären, ob und warum sich eine Stadt inmitten Deutschlands nicht an Gesetzesänderungen hält. Sicher ist nur, dass die Bewegungsfreiheit der Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft in Kempten noch immer stark eingeschränkt ist.

Der §57 des Asylverfahrensgesetzes schreibt vor, dass die Asylbewerber und Geduldeten ihren Geltungsbereich nur mit Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde verlassen dürfen. Diese Residenzpflichtbefreiung, umgangssprachlich auch Reiseerlaubnis, muss beim zuständigen Sachbearbeiter des Ausländeramts beantragt werden. Die Gebühren der Genehmigung belaufen sich auf 10 €, somit fast ein Viertel des Betrages, den ein Asylbewerber oder Geduldeter monatlich zur Verfügung hat.
Ob eine Erlaubnis erteilt wird liegt im Ermessen des Sachbearbeiters. Dabei sind die Flüchtlinge oft der Willkür der Beamten ausgeliefert. Es scheint in Kempten, dass dieser Ermessensspielraum prinzipiell nicht im Wohlwollen des Antragstellers liegt. Über Jahre hinweg klagen die  Asylbewerbern und Geduldeten in Kempten, dass sie keine Residenzpflichtbefreiungen ausgestellt bekämen. Einzige Ausnahme sind Anwaltstermine in anderen Städten, wenn die Residenzpflichtbefreiung vom Rechtsanwalt angefordert wird.

Ein Bewohner der GU Kempten erzählt, dass er seit fünf Jahren versucht eine Erlaubnis zum Verlassen des Bezirks zu erhalten, um Familienangehörige in einem anderen Bundesland besuchen zu können. Diese Familienangehörigen haben das Gesuch des Antragstellers unterstützt und den gewünschten Besuch bestätigt. Dennoch erhielt dieser Bewohner in all den Jahren keine Erlaubnis zum Verlassen des Landkreises.
Ein anderer Bewohner ist aktiv in einem ortsansässigen Sportverein. Ein Vertreter des Sportvereins fragte bei der Ausländerbehörde an, ob der Geduldete mit dem Team an einem Auswärtsspiel teilnehmen könne. Die dafür benötigte Residenzpflichtbefreiung wurde beim Ausländeramt Kempten abgelehnt.
Im Sommer 2008 verwehrte das Ausländeramt Kempten Flüchtlingen die Teilnahme an einer Konferenz über Flüchtlingsrechte in Nürnberg, indem den Antragstellern keine Residenzpflichtbefreiung ausgestellt wurde. Siehe Artikel der Karawane München.⁴

Die Erzählungen über Ablehungen von Residenzpflichtbefreiungen ließen sich seitenweise fortführen.  Zusammenfassend ist aber zu sagen, dass Asylbewerber und Geduldete in Kempten selbige Stadt nicht verlassen dürfen. Das heißt, dass die Bewohner der GU Kempten jahrelang Tag ein Tag aus in der selben Stadt verbringen müssen. Können wir uns vorstellen, was es heißt, wenn ein Beamter die Entscheidung trifft, ob wir Familienangehörige besuchen dürfen oder unseren Hobbys nachgehen können?

In Kempten leben Menschen, denen teilweise über ein halbes Jahrzehnt verwehrt wird ihre Familien in einem anderen Bundesland zu besuchen. Dass deren Bewegungsfreiheit so enorm eingeschränkt ist, macht eine Integration dieser Menschen unmöglich. Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, weil sie Frieden und Freiheit suchten, leben seit Jahren in einem Großraumgefängnis namens Kempten. Unverschuldet sind sie in dieser Lage und ohne Kontrolle über ihr eigenes Leben fristen sie ihren Alltag in Kempten in sozialer Isolation und Demütigung.
So ist ihnen nicht nur das Recht entzogen worden, sich frei im gesamten Bundesland aufzuhalten – wie es die Gesetzesnovelle vorsieht -, sondern wird ihnen auch verwehrt, eine amtliche Erlaubnis zu erhalten, welche es ihnen zumindest zeitweise erlauben würde, die Stadt zu verlassen.

Es scheint verständlich, dass aus purer Verzweiflung sich einzelne Geduldete über dieses Verbot nach Jahren hinwegsetzen und ohne eine amtliche Erlaubnis die Stadt verlassen. Im Falle einer Polizeikontrolle werden diese Personen kriminalisiert und es drohen ihnen Geldstrafen oder auch Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr.⁵
Auch hier unterliegen die Flüchtlinge erneut dem Ermessungsspielraum der Beamten. Bei einem erstmaligen Vergehen kann lediglich eine Verwarnung ausgesprochen werden oder auch eine Strafe von 25€ oder mehr verhängt werden. Die Bewohner der GU Kempten erzählen von Strafen von bis zu 400€ beim zweiten Verstoß. Diese Strafen müssen in monatlichen Raten von 10€ bei einem Taschengeld von 40,90€ abbezahlt werden.

Verstößt die Residenzpflicht ohnehin schon gegen die menschliche Würde und Selbstbestimmung und ist eine Einschränkung der persönlichen Freiheit, so wird diese Beschränkung in Kempten besonders hart umgesetzt. Man kann nur mutmaßen, warum sich die zuständigen Sachbearbeiter wie beschrieben verhalten. Die Gründe dafür sollen hier auch nicht geklärt werden. Aufgezeigt werden soll aber, dass Kempten in Ausländerangelegenheiten wie eine Enklave in Bayern erscheint. In dieser Enklave leben Menschen, deren persönliche Freiheit auf das Gröbste beschnitten ist.

Wir von „Grenzgänger unter uns“ erhoffen uns, dass das Ausländeramt Kempten sich mit der Novelle der Residenzpflicht auseinandersetzt und zukünftig im Sinne der Flüchtlinge handelt.

Andrea Schuster

__________________
¹ http://www.residenzpflicht.info/news/lockerung-der-residenzpflicht-in-bayern/

² § 61Räumliche Beschränkung; Ausreiseeinrichtungen
(1) Der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ist räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Weitere Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden. Von der räumlichen Beschränkung nach Satz 1 kann abgewichen werden, wenn der Ausländer zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Prüfung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 berechtigt ist oder wenn dies zum Zwecke des Schulbesuchs, der betrieblichen Aus- und Weiterbildung oder des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung erforderlich ist. Das Gleiche gilt, wenn dies der Aufrechterhaltung der Familieneinheit dient.

³  GU = Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber

⁴  http://carava.net/2008/07/31/nuernberg-25-27-juli-refugee-rights-conference-in-nuernberg-ein-hoffnungsvoller-schritt-fuer-ein-netzwerk-von-fluechtlingsaktivistinnen/

⁵ §85 AsylVfG Sonstige Straftaten
Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer wiederholt einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs.1 oder 2, jeweils auch in Verbindung mit § 71a Abs.3, zuwiderhandelt,
§86 AsylVfG Bußgeldvorschriften
(1) Ordnungswidrig handelt ein Ausländer, der einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs.1 oder 2, jeweils auch in Verbindung mit § 71a Abs.3, zuwiderhandelt.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro geahndet werden.

Für eine menschenwürdige, kommunale Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Augsburg

Das Augsburger Forum Flucht und Asyl ruft zur Unterzeichnung der Petition

Für eine menschenwürdige, kommunale Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen

unter folgendem Link auf:

http://openpetition.de/petition/online/fuer-eine-menschenwuerdige-kommunale-unterbringung-und-versorgung-von-fluechtlingen-in-augsburg

Zur Begründung heisst es darin:

Nach wie vor ist die Unterbringungssituation für Flüchtlinge in Schwaben, insbesondere in Augsburg, in weiten Teilen unzureichend und menschenunwürdig. Die Lage hat sich aktuell weiter verschlechtert

– durch eine deutliche Reduzierung der vorhandenen Unterkunftsplätze in Schwaben in den vergangenen Jahren, in der falschen Annahme weiterhin sinkender Asyl-bewerber_innenzahlen

– aufgrund eines seit 2007/2008 wieder ansteigende Flüchtlingsaufkommen insbesondere aus Kriegsgebieten wie Somalia, Irak, Syrien, Libyen und Afghanistan

– durch die damit verbundene Vollbelegung der Unterkünfte in Schwaben, die zu einer spürbar zunehmenden Enge und wachsendem Stress in den Unterkünften geführt hat

– durch eine weitere Reduzierung der verfügbaren Plätze aufgrund geplanter, weiterer Schließungen, wie der der ehemaligen Flakkaserne in der Neusässer Straße in Augsburg
durch die immer katastrophaler werdenden Zustände in der nicht zu angemessenen Kosten sanierbaren Gemeinschaftsunterkunft Calmbergstraße

– durch eine fehlende gesetzliche Verpflichtung der Städte und Landkreise in Schwaben, die zu wenige oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen, Verantwortung für die Unterbringung von Asylsuchenden zu übernehmen

– durch fehlende verpflichtende Mindeststandards für alle Gemeinschaftsunterkünfte in Bayern

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